Wir kommen also spätabends an, finden ein gemütliches Plätzchen und richten uns ein. Ich entschliesse mich für einen kurzen Spaziergang und weiss sofort, hier gefällt es mir. Wir haben aber ersteinmal für 2 Nächte gebucht. Geblieben sind wir 6 Nächte.
Bereits am ersten Abend habe ich mich also in diesen Park verliebt, aber schau selber.
Verschlungene Waldwege durch einen sattgrünen und fein duftenden Wald. Keine 5 Minuten danach durfte ich folgende Aussicht geniessen.
Das ist kein Meer, sondern ein See – genauer, der Lake Superior.
Lake Superior
Der Name ist Program. Der Lake Superior ist der flächenmässig grösste Süsswassersee der Welt. Er ist so gross, dass er für ein eigenes Mikroklima entlang seiner Küste sorgt. Im Volksmund wird er gerne auch als die grösste Klimaanlage der Welt bezeichnet. Mit seinen über das ganze Jahr fast konstanten 4 Grad Celsius sorgt er für milde Winter an seinen Ufern und kühle Sommer. So sinken die Temperaturen nachts gerne auf bis zu 10 Grad und die Luft ist oft nebelverhangen und feucht. Die Bäume sind meist kleingewachsen und teilweise gedeihen hier Pflanzen die sonst viel weiter nördlich beheimatet sind.
Wir sind überzeugt von dieser Natur und von diesem kleinen aber feinen Nationalpark (dieser hat nur 4 km Strassen und besteht hauptsächlich aus Wildnis die nur zu Fuss oder per Seefahrzeug (Kanu, Kajak und teilweise Boot) zugänglich ist.
Kanu fahren
Schon lange wollten wir ein Kanu mieten und selber losfahren. Die bisherigen Angebote waren aber meist zu teuer. Hier konnten wir für rund 20 kanadische Dollar ein Kanu für 5 Stunden mieten, genug um die Hattie Cove auf eigene Faust zu erkunden. Schwimmwesten angezogen, zweiseitige Unschuldserklärung (oder was auch immer für ein Sicherheitsfakel) unterschrieben, Padel gefasst und rein ins Vergnügen.
Auf einer kleinen Insel landen wir an und geniessen den Ausblick.
Uns gefällt das Kanufahren und wir wollen mehr erleben. Also verlängern wir unseren Aufenthalt von 2 Nächten auf 3 Nächte.
Die Hängebrücke
Der kommende Tag verspricht leicht bewölktes Wetter aber trocken, ideal für eine Wanderung ins Hinterland. Ich schaue mir die Wanderkarte des Nationalparks an, denn wir wollen einen kleinen Teil des 60 Kilometer langen Coastal Trails machen, genauer bis zu einer Hängebrücke. Ich packe unsere Rucksäcke (vor allem mit Kameraausrüstung – was sich irgendwie auf dem Campingplatz herumspricht wie ich später erfahre), Verbandszeug, Regenjacken, Verpflegung und 1.5 Liter Wasser. Eben diese Wasser wird uns das Leben noch schwer machen. Weshalb ich nur 1.5 Liter einpacke bleibt mir bis heute ein Rätsel. Vielleicht weil ich mir denke sind ja nur 7.5 Kilometer hin und wieder 7.5 Kilometer zurück und ist ja alles Flach. Fehler Nummer zwei.
Aber alles von vorne, los gehts.
Die Wanderung beginnt mit rund 1 Kilomter durch ein kleines Wäldchen bevor man auf diesem Boardwalk ein Sumpfgebiet durchquert. Rund 1.5 Kilometer flach und geradeaus – genau so wie ich mir das vorgestellt habe.
Doch dann gehts rein in die Wildnis und rein ins Abenteuer.
Der Weg wird schmaler, die Wurzeln zahlreicher, dann kommen die Steine und es geht mal rauf und wieder runter. Langsam realisiere ich, diese Wanderung könnte doch etwas anstrengender werden als gedacht, zu diesem Zeitpunkt haben wir bereits 150 kumulierte Höhenmeter gemacht jedoch erst rund 4.5 Kilometer zurückgelegt.
Nach rund 5 Kilometern gelangen wir an eine wunderschöne Bucht und dem ersten Backcountry Campingplatz dieses Trails. Es ist dies der Moment wo ich die Wanderkarte erneut konsultiere und realisiere, hmm, es sind nicht 7.5 Kilometer bis zur Hängebrücke sondern 9 km. Wer addieren kann ist klar im Vorteil. Es dämmert mir, das mit den 1.5 Litern Wasser, ja das könnte knapp werden. Wir beginnen zu rationieren, streng mit der Vorgabe, es muss mehr als die Hälfte noch übrig sein bevor wir den Heimweg antreten. Man, was bin ich nur für ein Idiot…..
Aber es ist so schön hier, wir wandern weiter. Ab und an begegnen wir anderen Wanderern aber insgesamt fühlen wir uns sehr alleine hier draussen.
Christina fragt mich nach den Bären und ich antworte ganz selbstsicher, hier hat es so viele Wanderer, da hat es sicher keine Bären – wie falsch ich damit erneut lag, lernten wir erst am nächsten Tag als wir von anderen Wanderern erfuhren, dass wir wohl einen Schwarzbären nur um Minuten verpasst haben – Glück oder Pech – ich bin mir nicht ganz sicher.
Nach knapp zweieinhalb Stunden und etwas mehr als 9 Kilometer erreichen wir die Hängebrücke – die voller Menschen ist. What the fuck! Hats hier irgendwo einen Touristenbus um die Ecke? Woher kommen all die Menschen? Aber wie ich mal von einem Fotografen gelernt habe, dort wo es viele Menschen hat, sucht sich der kluge Fotograf eine andere Perspektive als die vielen Menschen. Also ab über den Sicherheitszaun und unter die Brücke.
Die klassische Touristenperspektive lass ich mir aber dennoch nicht entgehen, zu schön ist es hier und zu überraschend einen solchen Fluss hier zu finden.
Trotz Sommerzeit führt dieser eine beachtliche Menge Wasser.
Die Hälfte des Wassers ist noch nicht aufgebraucht, da können wir ja noch etwas weiter wandern. Auf zu den Wasserfällen – einen weiteren Kilometer auf dem Trail. Bei den Wasserfällen angekommen finden wir aber keinen richtigen Zugang und entschliessen uns dann alsbald umzukehren.
Und ab jetzt wird es zäch, der Durst treibt uns voran, das Wasser wird immer knapper, die Rationen immer kleiner und die Kilometer ziehen sich dahin. Nach rund 9 Stunden, 22 Kilometern und etwas über 500 kumulierten Höhenmetern sind wir zurück – und trinken uns die Bäuche voll bis uns schlecht ist (also mir zumindest). Aber es war die Strapazen wert und mir eine Lehre. Man bin ich ein Idiot – als ob ich noch nie gewandert wäre….. Noch an diesem Abend entscheiden wir uns, eine 4 Nacht zu bleiben.
Ojibwa Handwerk
Christina hat sich für einen indinaischen Perlenstickkurs angemeldet für den folgenden Tag. Während etwas mehr als 6 Stunden wird sie in die Kunst und Tradition der Perlennähkunst der Ojibwa eingeführt. Ich geniesse einen freien Tag und gehe in den nächsten Ort unsere Lebensmittelvorräte auffüllen. In der Tat gefällt Christina die Traditionen der Ojibwa so gut, dass wir am nächsten Tag entschliessen an einer „History Lesson“ über deren Kultur teilzunehmen – und wir entschliessen uns eine weiter Nacht zu bleiben.
History Lesson
Am nächsten Tag werden wir von Josh (ein direkter Nachfahre des Bärenclans des Ojibwa) in einige Traditionen und die Lebensweise der Ojibwa eingeführt. Die anschliessende Diskussion (die wir inofiziell und in kleinem Kreise führten) über die heute bestehende Integration der indigenen Völker in Kanada hat bei uns tiefe Spuren hinterlassen. Alleine diese Diskussion würde einen ganzen Blogbeitrag füllen. Wir sind schlichtweg schockiert welche Probleme und Ungleichheiten noch heute vorherschen. Es ist dies der Moment indem ich beginne die frankophone Bevölkerung Kanadas besser zu verstehen und es ist dies der Moment in dem ich zutiefst beschämt bin, über das, was meine europäischen Vorfahren in anderen Ländern angerichtet haben und wir heute noch anrichten und es ist nicht zuletzt dies der Moment in dem uns Beiden klar wird, dass wir mit unserem europäischen Geschichtsunterricht ein sehr einseitiges Weltbild haben. Es ist genau dies der Moment, der eine solche Reise so wertvoll macht.
Wir entscheiden uns, die Woche voll zu machen und diesen Park noch etwas zu geniessen.
Weitere Wanderungen
Die restlichen Tage verbringen wir mit entspannen und weiteren Wanderungen. Es hat 5 kleinere Trails rund um den Campingplatz, jeder einzelne ist lohnenswert.
So führt ein rund 3 Kilometer langer Wanderweg um diesen wunderschönen See und dabei lernt man die 7 Lehren der Ojibwa.
Auch die Küste des Lake Superior kann man erwandern und sieht dort ein Spektakel seltener Natur.
Weite Teile der Küste, bzw. des Sandstrandes, sind mit Schwemmholz übersäht. Ein wunderschöner Anblick.
Nach einer Woche entscheiden wir uns dann aber trotzdem dafür, diesen Ort zu verlassen. Vor uns liegen noch tausende Kilometer bis in den Westen und der Winter kommt mit grossen Schritten näher. Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass wir natürlich auch hier viele sehr gastfreundliche Kanadier getroffen haben, viel geredet, getrunken und gelacht haben, Menschen deren Begnung bei uns Spuren hinterlassen haben und die wir hoffentlich irgendwann wiedertreffen.
Wieder ein Bericht in den ich so richtig eintauchen kann. Es entstehen Bilder in meinem Kopf und ich höre rauschendes Wasser. Eigenartig ist nur, dass ich plötzlich so durstig werde 😉. Ich glaube ich hole mir gleich Mal ein zwei Flaschen Combuchas. Prost und bis zum nächsten Mal.
Haha, ja Kombucha hatte ich auch schon eine Weile nicht mehr. Freut mich, dass dir der Bericht gefällt.
Liebe Grüsse,
Janosch